Mit Herz und Vernunft

Vier Wochen ist es her, dass an dieser Stelle ein Foto erschien, auf dem die Leiterin der städtischen Galerie, die Hände zur Raute geformt, Räten und Verwaltern der Stadt das Mahnmal zum Andenken an die Zwangsarbeiter des Dritten Reiches erläuterte. Dass Erklärungsbedarf bestand, kann, wer will, an manchen Gesichtern ablesen.

Die Idee, dass sich am gut frequentierten Bahnhofsplatz die Passanten in ansehnlicher Anzahl mit Schriften und Symbolen beschäftigen würden, scheint noch nicht die erhofften Früchte zu tragen. Flyer, an gut sichtbarem Ort aufgestellt, sollen Abhilfe schaffen. Schade, denn das Konzept, die rückwärts laufende Uhr und die unter die Haut gehenden Texte, müsste eigentlich wie eine Saat wirken, die im Betrachter aufgeht. Leider haben es die Passanten mehrheitlich eilig oder sie sitzen, wenn sie auf den Bus warten, auf der Bank anstatt aufzustehen und die Texte zu verinnerlichen.

Auf dem Weg vom Sehen über das Denken zum Verstehen kann viel passieren. Kunst hat nicht die Aufgabe, diesen Weg zu ebnen. Sie muss verstören, provozieren. So sahen es auch die Gemeinderäte, die sich mehrheitlich für diese Arbeit aussprachen.

Das eingangs erwähnte Bild entstand neben dem Mast mit den anonymen Wegschildern, die in alle Richtungen weisen, aus denen die Zwangsarbeiter seinerzeit rekrutiert wurden. Damals holten wir die Menschen gegen ihren Willen, heute treibt sie die Not zu uns. Fragt sich, was auf diesem Hintergrund an widersprüchlichen Empfindungen aufkommt. Mischt sich in die Betroffenheit über das Vergangene der Ärger über politisches Fehlverhalten gleich welcher Art? Können wir sicher sein, dass sich völkisches Denken überlebt hat oder werden wir nächstes Jahr anlässlich Europa-und Kommunalwahl erleben, dass Bietigheim näher bei Chemnitz liegt als wir es uns im Moment vorstellen?

Gelegentlich macht das Wortspiel die Runde, auf eine Politik mit viel Herz und wenig Vernunft sei eine Politik mit viel Vernunft und wenig Herz gefolgt. Kunst, angemessen vermittelt, kann beim Sortieren helfen.

Dr. Georg Mehrle
FDP-Fraktion

 

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